In unserer Artikelreihe über sexuellen Missbrauch von Kindern und dessen Behandlung erzählt heute eine Pflegemutter, wie sie damit klarkam ist, dass sie mehrere Kinder bekommen hat, die sexuell missbraucht und zur Prostitution gezwungen wurden. Die Namen der Protagonisten wurden geändert, auf den Bildern sind andere Personen zu sehen.

Emma ist eine Pflegemutter in ihren besten Jahren, die in einem Dorf im Komitat Szabolcs wohnt. Als sie sich vor ein paar Jahren diesen Beruf ausgesucht hat, hat sie gleich vier Geschwister aufgenommen, über die sich schnell herausstellte, dass sie Opfer vom sexuellem Missbrauch wurden. Die Familie zwang die beiden Töchter im Teenageralter zur Prostitution. Der letztendliche Grund für die Aufnahme war aber eher, dass die Kinder seit Jahren in der Familie vernachlässigt und misshandelt wurden.

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Nóra und Niki haben ihre Gewohnheiten nur schwer hinter sich gelassen. Im ersten Halbjahr waren sie ständig auf der Flucht, sind zurück zu ihrer Familie gegangen und wurden regelmäßig von der Polizei vom Straßenrand geholt. „Dieses Leben war das, was sie kannten. Sie hatten sich daran gewöhnt, dass sie nicht zur Schule gehen mussten, rauchen durften und einen Zuhälter hatten. Im Vergleich zu dieser Freizügigkeit gab es bei mir Verpflichtungen und Regeln.” – erzählt die Pflegemutter. Das älteste Mädchen, die 16 jährige Niki wurde zu spät aufgenommen, ihr konnte die Pflegemutter nicht mehr helfen. Sie hat mit der Prostitution weitergemacht. Emma hat versucht, sie zu unterstützen. Das Mädchen hat die erste Klasse der Mittelschule erfolgreich absolviert und mit Erreichen der Volljährigkeit wurde sie auf eigenen Wunsch aus der Pflege entlassen. Seitdem arbeitet sie weiterhin als Prostituierte.

Die Eingliederung des jüngeren Mädchens, Nóra, war auch nicht gerade einfach, aber mit ihr war Emma erfolgreich. Anfangs war die 14-jährige ihrer Familie gegenüber noch loyal. Noch Monate lang hat sie Geld und Kleidung auf Wunsch ihrer Mutter aus dem Haus der Pflegemutter mitgenommen. „Das Kind hat so lange geweint und gebettelt, bis ich ihr Geld gab.” Nóra flüchtete noch ein paar mal. „Mitten in der Nacht um eins wurde sie zu mir gebracht, in einem Kleid mit Leopardenmuster und mit schwarz geschminkten Augen. Wir wurden zur Polizei gefahren. Im Polizeiwagen griff sie nach meiner Hand und sagte: „Es tut mir leid.”, „Es kann dir nicht genug leid tun”, antwortete ich, „denn wenn es dir leid tun würde, würdest du zu Hause bleiben.”” Danach haute Nóra nie mehr ab.

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Richtig schockiert war Emma als mit der Zeit herauskam, dass selbst ihre dreijährige Schwester, die in Windeln zu ihr kam, dazu missbraucht wurde, um mit ihrer Puppe das Geld von Männern zu bekommen. „Einmal, als sie schon seit einem Jahr bei mir lebten, gingen wir zum Strand. Dort ging das kleine Mädchen zu einem Mann und sagte: Ich gebe dir ein Küsschen für fünfhundert Forint.” Die kleine Tímea geht heute schon zur Schule, aber die früheren Angewohnheiten konnte ihre Pflegemutter ihr noch immer nicht abgewöhnen. Die Traumata haben auch bei ihrem Bruder Spuren hinterlassen, der bei diesen Ereignissen Augenzeuge war. Der mit sechs Jahren aufgenommene Ákos hat noch nach eineinhalb Jahren nach seiner Aufnahme mit den Puppen so gespielt, dass er sie auszog und ihre Köpfe gegen den Tisch schlug: „Warst du ficken, meine kleine Hure? Wo ist das Geld?”„Daraufhin sagte die Psychologin, dass wenn er sich in einer Umgebung  sicher fühlt, kommen während des Spiels die Erinnerungen hoch und er spielt sie aus. Das ist gut, wenn er das aussprechen und ausspielen kann, denn dann fängt er an, das aufzuarbeiten.”– kommentiert Emma. Es kommt vor, dass Ákos seine kleinere Schwester umstößt, wenn keiner das sieht, um den Stress an sie abzuleiten. Nach der Meinung der Psychologen kann Emma mit viel Lob, Aufmerksamkeit und Liebe am besten helfen, die traumatische Phase aufzuarbeiten, was nicht gerade einfach ist. Ákos selbst kann Lob nicht aufnehmen. Er fängt an zu hauen, ihm muss das anders kommuniziert werden.

Die Kinder sind in dieses Umfeld hineingeboren. Es sind Jahre vergangen, bis sie gemerkt haben, dass in ihrem Leben die Puppen und das Spielen fehlte. Mit so einem Anfang versucht die Pflegemutter sie auf ein normales Familienleben vorzubereiten. „Mit Verboten würde ich nichts erreichen, stattdessen reden wir viel – auch über meine eigene Lebenssituationen. Ich versuche mit ihnen so zu leben, wie in einre echten Familie. Sie sehen mich in Unterwäsche, in schönen Kleidern, sie sehen mich weinen und lachen und mein Mann ist auch viel dabei. Wir versuchen ihnen ein gutes Familienbild zu zeigen.”

Die größten Erfolge hat sie mit Nóra. Die Pflegemutter hat versucht, für sie eine Schule zu finden, aber wegen ihrer Vergangenheit wollte sie keine Grundschule aufnehmen. Als sie davon hörten, dass Nóra eine Prostituierte war, wurde sie rausgeschmissen. Muss man das in der zukünftigen Schule sagen? „Ja, weil vielleicht die Eltern vorbeikommen oder jemand sie erkennt. Ihrer Mitschüler und ihren Eltern sage ich das nicht, aber der Schuldirektor muss das wissen.”– erklärt Emma. Letzten Endes hat ein Notar eine Schule bestimmt, die dazu verpflichtet wurde, sie zu aufnehmen. Am Ende der achten Klasse hatte sie hier eine Durschnittsnote von 1,6 (Anm.d.R: 4,4 von 5 im ungarischen Schulsystem) und hat damit die Aufnahmeprüfung für die weiterführende Schule, die sie sich ausgesucht hat, bestanden. Die 18-jährige besucht momentan auch diese Schule, und ist eine gute Schülerin. Emma hofft, dass sie länger bei ihr bleibt, den Berufabschluss und die nötige Anfangsunterstützung vom Netzwerk bekommt, und später ein selbstständiges Leben führt. „Es ist eine sehr schöne Mutter-Tochter Beziehung zwischen uns entstanden.”

Nóra ist jetzt in einer ernsthaften Beziehung und hat einen Freund, der über ihrer Vergangenheit Bescheid weiß. Emma hat ihr empfohlen, schon am Anfang von ihrer Zwangsprostitution zu erzählen. „Wenn du ihn nur ein bisschen liebst, und er dich auch, dann wird er das verstehen. Wenn er dich nicht liebt, dann soll die Sache schon am Anfang kaputt gehen, aber wenn er später deine Schwester auf Facebook nackt sieht oder jemand ihm etwas erzählt, dann wird es dir damit sehr schlecht gehen. Wir haben uns mit Zsolt hingesetzt, und ich habe ihm gesagt, dass sie nicht aus so einem Umfeld kommt, wie es vielleicht scheint, sondern dass Nóri ihre Vergangenheit, ihre Vorgeschichte hat. Wenn du damit kein Frieden schließen kannst, dann solltet mit ihr diese Beziehung gar nicht erst anfangen und ich möchte auch nicht, dass jemand deswegen Nóra angreift.” Der Junge war erstmal schockiert von der Nachricht, aber er blieb bei ihr. Sie sind seitdem immer noch zusammen und er hat Nóra sehr lieb gewonnen.

Im Rahmen einer Ausschreibung des Norwegischen Zivilen Förderungsfonds/EGT hat die Ungarische Stiftung des SOS-Kinderdorfes eine Förderung zum Thema Rechte und Chancengleichheit von Frauen erhalten.

Aus dem Ungarischen von Reka Judit Meszaros-Segner

Lektoriert von Charlotte D.