Mónika arbeitet seit vier Jahren als Pflegemutter in einem der regionalen Netzwerke des Staatlichen Kinderschutzbundes. Um 15 Kinder hat sie sich schon gekümmert, momentan erzieht sie sechs kleine Kinder, von denen sie zwei adoptiert hat. Bei unserer Unterhaltung ging es um die Aufnahme, die Adoption und um den Alltag als Pflegemutter. Die Namen der Protagonisten wurden geändert, auf den Bildern sind andere Personen zu sehen.

Wie wurdest du zur Pflegemutter?
Wir sind ein Ehepaar in seinen besten Jahren. Ich lebe mit meinem Mann seit zwanzig Jahren in einer schönen kleinen Stadt. Ich wollte nie Kinder. Ich hätte welche haben können, aber mir fehlte die Sehnsucht danach. Wir haben uns mit meinem Mann gut verstanden, in unserem Leben fehlte uns keiner. Und trotzdem war ich nicht glücklich. Wir haben uns in mehreren Projekten ausprobiert, unter anderen haben wir uns überlegt, einen Familienhort zu gründen. Daraus wurde zwar nichts, aber ich habe mich inzwischen dazu entschlossen, dass ich mich mit Kindern beschäftigen möchte. Ich habe mich im Internet über die Möglichkeiten erkundigt und so habe ich die Ausschreibung des Staatlichen Kinderschutzbundes gefunden, in der sie Pflegeeltern gesucht haben. Ich habe mich ein bisschen informiert, was das ist, denn ich wusste davor gar nicht, dass es sowas gibt.

Ich habe mich beworben und meinen Lebenslauf eingeschickt. Schon bald haben wir mit meinem Mann die Schulung angefangen. Zum Glück hat er mich in allem unterstützt und übernahm alle Verpflichtungen, die damit verbunden waren. In diesem Moment habe ich schon sehnsüchtig darauf gewartet, von Kindern umgeben zu werden – als wäre eine Barriere durchbrochen worden, die die Muttergefühle von mir abhielt. Wir haben das Kinderzimmer eingerichtet, Möbel, Spielzeug, Kinderwagen, Töpfchen und viele andere Sachen gekauft, von denen wir dachten, das sie wichtig sein könnten. Es war eine große Freude, sich vorzubereiten. Als wir unsere Arbeitserlaubnis als Pflegeeltern bekommen haben, schloss sich ein Kapitel unseres Lebens. Seitdem haben 15 Kinder bei uns gewohnt –  für kürzere oder  längere Zeit. Es gab welche, die wir heimgegeben haben, andere haben wir zur Adoption freigegeben und ein Zwillingspaar haben wir selbst adoptiert.

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Wie ist das erste Kind gekommen?

Der Anruf kam früher, als wir dachten, wir haben auch ein bisschen erschrocken. Drei Wochen nach unserer Arbeitserlaubnis kam Panka, ein drei Jahre altes Mädchen, das aus ihrer Familie genommen wurde. Nach zwei Jahren kam sie zurück zu ihrer leiblichen Eltern, aber ich habe Zweifel, was ihre Zukunft betrifft.

Gleich darauf hast du ein drei Jahre altes Kind bekommen. Wie konntest du das Mädchen, das offensichtlich traumatisiert war, beruhigen?

Mit vielen Spielereien, Spaziergängen und anderen Programmen konnte ich anfangs ihre Aufmerksamkeit vom Trauma ablenken. Abends, nachdem sie ins Bett gegangen ist, hat sie geweint, aber am Tag hat sie so viel erlebt, dass sie keine Zeit hatte, traurig zu sein.

Wo fand die Kontaktpflege statt? Kamen die Eltern zu dir?

Die Kontaktpflege fand nicht bei mir statt, sondern an einem offiziellen Ort. Alle zwei Wochen sind die Eltern und die Großeltern gekommen. Sie standen uns sehr feindselig gegenüber.

Wie war es Panka loszulassen?
Gut, weil die Familie sehr an ihr hing. Sie haben sie sehr vermisst und auch das kleine Mädchen litt unter diesem Doppelleben. Sie wollte meinen Erwartungen und auch den Erwartungen ihrer Eltern gerecht werden, aber wir haben sie nach unterschiedlichen Normen und Werten erzogen. Sie hat mich auch geliebt, hat mich Mutter genannt, aber sie hatte Gewissenskonflikte wegen ihrer leiblichen Mutter. Es war gut, sie nach Hause zu lassen, vielleicht wurde der Druck dadurch weniger, dem sie ausgesetzt war – vielleicht kann sie da ihren Alltag ausgelassener leben. Egal wie gut die Verhältnisse bei den Pflegeeltern sind, es ist doch ein „fremder” Ort im Vergleich zu ihrem Zuhause. Sie hatte dort ein ganz normales Wohnumfeld, sie ist wegen der psychischen Probleme der Eltern in Pflege gekommen.

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Wer kam danach?

Panka war seit ein paar Monaten bei uns, als ein neues Mädchen, Betti, zu uns kam. Sie war neun Monate alt und hatte eine verbrannte Hand.  Sie war nur für ein paar Wochen bei uns, weil sie dann innerhalb der Familie zu ihrer Großmutter kam. Dann haben wir ein Geschwisterpaar, zwei Mädchen, aus dem Säuglingsheim aufgenommen. Esztike war 7 Monate, ihre Schwester, Lilla zwei Jahre alt. Ihre Mutter hat sie anfangs regelmäßig besucht, aber mit der Zeit wurden die Besuche weniger. Zwei Jahre nachdem sie zu uns gekommen sind, konnten die Mädchen mit ihren Adoptiveltern in ihr endgültiges Zuhause einziehen. Sie haben sich schön eingelebt, die Mutter ruft mich ab und zu an und berichtet über die Entwicklungen.

Inwischen hatten wir auch für einige Monate ein neugeborenes Mädchen, die von ihrer Mutter erst nach ihrer psychiatrischen Behandlung abgeholt werden durfte. Sie treffe ich immer wieder, denn wir wohnen in der gleichen Stadt. ¨Der Kleinen geht es gut, sie entwickelt sich prächtig.

Wir hatten bei uns auch eine Dreier-Geschwisterreihe, auch hier nahm die Oma die Kinder nach einer Zeit zu sich. Sie kamen mit Läusen in ihren langen, büschig-lockigen Haaren. Es war nicht gerade einfach, sie so in Ordnung zu bringen, dass während dessen weder die anderen, die hier sind, noch die Erwachsene mit einem käfigen Chaos im Haar enden. Außerdem waren sie furchtbar grob und agressiv, sie haben herumgeschrien, geschimpft und getobt. Mit ihnen hatte ich derzeit sieben Kinder bei mir, es war keine einfache Geschichte. Aber keine ist es…

Wie viele Kinder leben jetzt bei dir?

Sechs Kinder, alle unter drei Jahren. Ich habe vier Pflegekinder und zwei Adoptivkinder, weil wir ein Zwillingspaar so lieb gewonnen haben, dass wir sie am Ende adoptierten. Amanda ist 15 Monate, Csaba 19 Monate, Mira 23 Monate alt, Lotti und meine eigenen Kinder Donát und Boróka sind 3 Jahre alt. Csaba war ein Frühchen. Am liebsten würde ich ihn auch adoptieren, aber mein Alter erlaubt mir das nicht mehr.  Der Vater besucht ihn sowieso regelmäßig und so steht eine Adoption eh außer Frage. Unsere andere Kleine, Amanda kam auch direkt aus dem Krankenhaus. Ihr Pflegebeschlussbescheid wurde ein Jahr lang nicht ausgestellt, ich weiß es nicht, warum. Als hätte sie bis dahin gar nicht existiert. Nach dem Beschluss wurde sie ein mal von der Mutter besucht – das war vor drei Monaten. Seitdem gibt es keine Neuigkeiten. Das Mädchen wird zur Adoption frei gegeben, aber wann…?

Lotti und Mira sind Geschwister, sie wurden wegen Gefährdung aus ihren Familien genommen und von der Polizei abgeholt: dreckig, stinkig, in einem T-Shirt und das im Winter. Damals war die kleine Mira ein Jahr alt, ihre Schwester Lotti zwei – zwei Wochen jünger als meine Zwillinge. Damit habe ich mir eigentlich Trilinge angeschafft. Die Eltern besuchen Lotti und Mira regelmäßig. Seitdem haben sie eine weitere Tochter bekommen, die auch zu Pflegeeltern gekommen ist. Die Verhältnisse ihrer Eltern sind zur Kindererziehung vollkommen ungeeignet, ich weiß nicht, was mit den Mädchen passieren wird.

Ist den Kindern klar, wer in welchem Status bei dir ist?

Ich rede viel darüber, wer wessen Mutter oder Vater ist, wir durchsprechen das ziemlich oft. Wegen ihrem Alter ist es schon schwierig, aber sie wissen schon, worum es geht und sagen, dass das nicht deine Mutter ist, sondern dass wir deine Mutter im Amt treffen. (Ort zur Kontaktpflege)

Weißt du etwas über die Schicksale der Kinder, die wieder von dir wegkamen? Wie kann man das aufarbeiten, dass das Kind in einem Moment noch den ganzen Tag da ist, und dann aber nie wieder siehst?

Ja, ich weiß etwas über ihre Schicksale. Sie gehen nicht von einem Tag auf den anderen weg, es passiert nicht so, dass sie eines Morgens abgeholt werden. Es ist ein längerer Prozess, auf den sich sowohl das Kind als, auch auch die Pflegeeltern vorbereiten können. Aber ich weiß schon im Moment der Aufnahme, dass wir uns einmal trennen müssen. Für mich ist das kein Problem. Das ist meine Arbeit. Es kommt nicht unerwartet, dass ich mich von einem Kind trennen muss. Diesen Momenten stelle ich mich mit vollem Bewusstsein.

Die Aufgaben der Pflegeeltern kann ich nicht mit den Aufgaben von Eltern vergleichen, sondern eher mit der Arbeit einer Kindergärtnerin oder Betreuerin. Das ist eine Arbeit, eine Aufgabe, die man im Alltag erledigen muss. Eine Kindergärtnerin hat auch nicht die selbe Beziehung zu den Kindergartenkindern, wie zu ihren eigenen, obwohl sie sie sehr liebt und alles tut, damit sie sich ausgeglichen entwickeln. Meine Einstellung zum Pflegeeltersein ist, dass es meine Arbeit ist, die ich so gut wie möglich machen möchte. Deswegen versuche ich meine Beziehung zu den Kindern bewusst so zu gestalten, dass sie das wissen und fühlen, aber mich trotzdem sehr lieben.

Hast du die Schulung, welche aus 500 Unterrichtsstunden besteht, absolviert?

Ja, ein Jahr lang habe ich an der Schulung teilgenommen, was, neben sechs Kindern, sehr schwierig war. Ich meine nicht die Schulung, sondern die Organisation der ganztägigen Abwesenheit von zu Hause und für die Prüfungszeiten. Es ist schwer, so viele Kinder, die so klein sind, den ganzen Tag mit jemand anders zu lassen.

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Wie sieht der Alltag aus?

Morgens zwischen 5 und 6 Uhr wachen die Kinder auf, ich nehme sie der Reihe nach aus dem Bett: umwickeln, anziehen, danach das Frühstück, Spielen, Spazierengehen, Faxen machen auf dem Hof, so gegen zwölf Mittagessen, danach schlafen sie zwei Stunden. Nachmittags dasselbe wie vormittags, abends baden, Abendessen, schlafen. Der Alltag vergeht oft mühselig, ein bisschen chaotisch, aber wir finden immer schöne Momente und vertrauliche Minuten. Sechs kleine Kinder versorgen einen mit vielen Aufgaben, man hat andauernd etwas zu tun. Wir finden aber auch jeden Tag Zeit für das Spazierengehen, Märchenlesen und für das geimeinsame Spielen.

Was sind die schwierigsten Situationen? 

Wenn alle sechs Kinder gleichzeitig schreien, oder etwas gleichzeitig haben möchten oder jeder mit dem selben Spielzeug spielen will. Und das Füttern und das Baden.

Was bereitet dir die größte Freude bei der Arbeit?

Die Adoption. Ich freue mich, dass ihr Leben in die richtige Richtung gelenkt wird, dass sie endlich in einer echten Familie leben werden, glücklich, ohne Sorgen. Es ist wunderschön zu sehen, wie die Eltern und Kinder zueinander finden, wie sie Tag für Tag einander näher kommen. Das Glück der Adoptiveltern ist sehr rührend, sie können sich sehr freuen und sind meistens sehr aufgeregt.

Das andere große Glück ist, wenn ich ein neues Kind bekomme. Das sich Anfreunden mit ihm, seine Eingliederung in unserem Alltag, das Beruhigen. Das ist eine große Herausforderung und gleichzeitig eine Tätigkeit mit Erfolgserlebnissen. Ich warte immer mit großer Aufregung auf Anruf, wenn ich einen freien Platz habe.

Die Rückgabe der Kinder zu ihren Eltern ist nicht so ein gutes Erlebnis?

Bei der Heimgabe bleiben bei mir immer Zweifel. Wie lange dauert wohl die Idylle, kommt das Kind nicht doch zurück in Pflege? Ist es sicher, dass alles in Ordnung sein wird? Bei einer Adoption bin ich sicherer, dass es dem Kind gut gehen wird.

Wenn du irgendwo bist, was sagst du, wer sind diese sechs Kinder? Wirst du dazu viel befragt?

Überall sorgen wir für großes Aufsehen, das kannst du dir vorstellen. Schon mit drei Kindern, geschweige denn mit sechs. Fremden erkläre ich gar nichts. Sie fragen gewöhnlich, sind es alle ihre? Ja. Und sie gratulieren, staunen und regen sich auf. Und ich lächele nur. Diejenigen, die ich häufiger treffe, oder diejenigen, die meiner näheren Umgebung angehören, erkläre ich, dass ich als Pflegemutter arbeite und dass das meine Pflegekinder sind. Sie wissen sowieso nicht, was das ist. Die meisten glauben, dass das Adoption bedeutet.

Aus dem Ungarischen von Reka Judit Meszaros-Segner

Lektoriert von Charlotte D.