Andersartigkeit, Vorurteile, Diskriminierung, Akzeptanz. Sozialbenachteiligte Jugendliche, zwischen ihnen auch die Schützlinge der SOS Kinderdörfer, befassten sich zwei Wochen lang in drei internationalen Camps mit diesen Themen und lernten sich währenddessen besser kennen.

Mit wem würdest du auf einer langen Zugreise in einem Abteil reisen? Mit einer mehrfachen Mutter, mit einem Ex-Häftling oder mit einem Homosexuellen? Mit wem nicht, und warum nicht? Diese seltsame Frage war eine der Themen des organisierten Camps, dessen Antworten die Teilnehmer rechtfertigen sollten. Im Laufe des Spieles stellte sich heraus, dass derjenige, der aufgrund der wenigen Informationen über andere Mitreisende urteilt, sich selbst von interessanten Begegnungen ausschloss. Über den ehemaligen Häftling kam zum Beispiel heraus, dass er unschuldig verurteilt wurde. „Vorurteile erschweren das gegenseitige Kennenlernen ungemein!”, erkennt Gábor, einer der Teilnehmer.

11222939_10153541185352597_1761986898682725829_o

Auch in diesem Jahr konnten die SOS-Schützlinge an drei verschiedenen internationalen Camps teilnehmen. Um die Organisation kümmerte sich das Service Civil International Hungary. Die freiwilligen Betreuer kommen aus verschiedenen Ländern. Sie behandelten festgelegte gesellschaftliche Probleme auf Englisch und ermöglichten ein spielerisches Kennenlernen. Jedes Thema knüpfte dabei an Andersartigkeit-, Vorurteils- oder Akzeptanzaspekte. Nicht nur SOS-Schützlinge, sondern auch Jugendliche aus anderen Einrichtungen und Flüchtlinge reisten zusammen aus Ungarn in die Camps. Betreut wurden sie dabei einem erwachsenen Gruppenleiter. Im Herbst trugen die Teilnehmer dann vor, was sie im Camp gelernt hatten.

Barcelona2

Gábor, der in einer Einrichtung in der ungarischen Hauptstadt lebt, und zwei andere aus einer Nachbetreuungsmaßnahme stammenden Jugendliche reisten zusammen nach Barcelona. Das Augenmerk des dortigen Camps lag auf der Andersartigkeit und der Diskriminierung. Außer ihnen nahmen spanische, italienische, ukrainische und bulgarische Jugendliche Teil. Zu einem anderen Camp nach Rom fuhren Dani und Laci, zwei Hochschüler aus der Kőszeger SOS-Einrichtung, und Hassan und Najibullah, die in Fót lebende Flüchtlinge sind. Der Programmschwerpunkt dieses Camps, bei dem auch belgische, italienische und slowenische Gruppen teilnahmen, lag bei Migranten der zweiten Generation. Das dritte Camp dieser Art fand im slowenischen Muraszombat statt. Pisti und Sára aus dem Kecskeméter Jugendnetzwerk, Tamara aus Budapest und Khamran und Amin, afghanische Flüchtlinge aus Fót, beschäftigten sich besonders mit der Präsenz von Stereotypen in der Medienwelt. Dabei trafen sie auf andere Teilnehmer aus Spanien, Bulgarien, Mazedonien, Kenia und Italien.

Barcelona

Die sozialen Hintergründe jedes einzelnen Teilnehmers waren untereinander kein Thema, es wäre eine zu sensible Angelegenheit gewesen. Unterunterbrochen allerdings arbeiteten sie mit den schon vorher genannten Themen: Andersartigkeit, Vorurteile, Diskriminierung -auch auf witzige Art und Weise. So erzählte Laci bei der Vorstellung der italienischen Hauptstadtbesichtigung: „Eine Aufgabe war, Sehenswürdigkeiten in der Stadt zu finden. Zum Glück hatten wir in unserer Gruppe zwei Italiener, so hatten wir es leicht.”, und zeigt dabei auf ein Foto, auf dem zum Erstaunen der Zuhörer die zwei Ungarn neben einem Indianermädchen und einem afrikanischen Jugen auf einem römischen Platz stehen. Die zwei ursprünglich aus dem Sudan und aus Peru stammenden Jugendlichen sind Einwanderer der zweiten Generation, fühlen sich selbst aber eher als Italiener. Mit dem afrikanischen Jungen befreundete sich Laci besonders. Er erzählte davon, wie viel die Hautfarbe in Italien ausmacht und wie ungebräuchlich dort das Wort „schwarzer Italiener” ist.

Szlovénia-001

Sowie in Italien, kam auch in dem slowenischen Camp kam das Migrationsthema zum Vorschein. Amin, der mit der ungarischen Gruppe kam, aber seit Jahren ein in Ungarn lebendes afghanisches Flüchtlingskind ist, erzählt: „Aufgrund meiner Erlebnisse aus vorherigen Camps hatte ich damit gerechnet, dass sie fragen werden, wie ich mich in Ungarn fühle, woher ich komme und was meine Geschichte ist. Aber darauf, dass ich das ungarische Volk verteidigen muss, weil die Regierung so mit den Flüchtlingen umgeht, war ich nicht vorbereitet.”  Als Ende August Ungarns Flüchtlingssituation in den Blickfang der internationalen Presse geriet, wurden auch die Jugendlichen dazu ausgefragt. „Zum Glück haben sie die Vorurteile über Ungarn nicht auf uns übertragen!”, ergänzt Sára.

Szlovénia

Auch während des Programms wurden Gesellschaftsprobleme aufgearbeitet. Die Teilnehmer des italienischen Camps besuchten zum Beispiel eine Suppenküche für Flüchtlinge oder arbeiteten mit den Methoden des „Theater der Unterdrückten”.” Dabei spielen ein Unterdrücker und ein Unterdrückter eine Szene und das Publikum muss die Situation lösen.”, erzählt Dani. Im slowenischen Camp gab es seriöses Training im Journalismus und im Umgang mit Vorurteilen. Am Ende musste jeder einen Artikel schreiben, aus dem dann eine gemeinsame Zeitung entstand. Tamara erntete großes Lob für ihr Interview mit dem afghanischen Amin.

 

Zwischendurch gab es immer wieder witzig verpackte Aktionen. Jeder Teilnehmer hatte einen „geheimen Freund”, dem man bis zum Schluss kleine Aufmerksamkeiten zukommen ließ und man sollte herausfinden, wer sein „geheimer Freund” ist. „Das eine Mädchen hier hat eine Rose bekommen, und sie hat geglaubt, dass wir es waren. Wir haben sie in dem Glauben gelassen und am allerletzten Tag kam heraus, dass ein Mädchen ihr geheimer Freund war.”,  witzelten Laci und Dani. In Rom organisierte jede Gruppe einen Länderabend, bei dem jedes Land vorgestellt wurde. Die Ungarn bereiteten Paprika-Kartoffeln und ein Activity-Spiel vor, bei dem man heimische Sehenswürdigkeiten vom Parlament bis Turo Rudi erkennen musste. Im slowenischen Camp konnten die Jugendlichen über eine Nachrichtentafel den anderen mitteilen, was sie benötigen und womit sie dienen können. „Es gab jemand, der Zahnpasta brauchte, wir haben sie ihm gegeben. Ich habe geschrieben, dass ich eine Umarmung geben könnte und Hilfe beim Englischlernen benötige, weil ich finde, dass ich noch nicht gut genug englisch kann.”, erzählt Sára.

Róma

Mit Englisch als Campsprache war es nicht immer einfach, aber bei den vielen Interaktionen kam jeder irgendwann rein. „Ich habe hier ein 17-jähriges Mädchen kennengelernt, die schon fünf Sprachen sprechen kann. Das hat mich auch motiviert!”, sagte der Hochschüler Pisti. Was haben sie aus dem Camp gelernt? „Bei der Stadtrallye hat sich gezeigt, dass die ungarischen Jugendlichen am besten über Geschichte Bescheid wussten!”, fasst Laci stolz zusammen. Für ihn war diese Fahrt auch gleichzeitig der erste Flug in seinem Leben. Für viele andere war es sogar die erste Reise ins Ausland. „Mein Selbstvertrauen ist gewachsen. Gerade habe ich die Uni begonnen und seitdem traue ich mich mehr auf Veranstaltungen zu gehen.”, sagt Sára. „Ich war zum ersten Mal im Ausland.”, fügt Tamara hinzu, „und ich möchte Journalistin werden. Die Grundlagen habe ich hier gelernt und ich spreche schon ganz selbstsicher Englisch.”

Fordította: Charlotte D.