Kevin Ndagijimana ist 21 Jahre alt, besucht die Universität Debrecen und kommt aus Burundi. Seine Familie brachte ihn in das dortige SOS-Dorf, damit er weiterlernen kann. Nach dem Erwerb seines Diploms möchte er nach Burundi zurückkehren und als Ingenieur seiner Heimat helfen.

Seit wann lebst du in Ungarn?

Seit letztem September. Ich studiere Bauingenieurwesen in Debrecen.

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Warum fiel deine Wahl auf Ungarn?

In Ghana bin ich zur Mittelschule gegangen und dort wurde mir diese Universität vorgeschlagen. Die Ärzteausbildung der Universität Debrecen ist bekannt, das Bauingenieurstudium auf Englisch ist ganz neu hier, und die Kosten des Studiums sind erträglich.

Warum hast du dir das Bauingenieurstudium ausgesucht?

Ich möchte bei der Entwicklung der Infrastruktur in Burundi helfen. Die Wege und die Kanäle sind dort sehr abgenutzt. Letztes Jahr setzte ein großer Regenfall die Hauptstadt unter Wasser, viele Leute verloren ihr Zuhause und siebzig Leute starben.

Was muss man über Burundi wissen?

Burundi liegt in Ost-Afrika und hat 10 Millionen Einwohner. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt, aber ist für seine Trommelkunst bekannt. Die offizielle Sprache ist Französisch, aber die Mehrheit benutzt Kirundi, die Lokalsprache. Erst kürzlich hat sich der Präsident zum dritten Mal selbst wieder gewählt, obwohl es gesetzlich verboten ist. Es gibt Aufstände, bürgerkriegsähnliche Situationen, die Leute fühlen sich nicht sicher.

Wie bist du ins SOS-Kinderdorf gekommen?

Ich war sieben Jahre alt, als mich mein Onkel dorthin brachte. Vorher lebte ich in einem kleinen Dorf mit meiner Mutter und meinen vier älteren Geschwistern in einer großen Familie mit vielen Verwandten. Meine Mutter arbeitete in der Landwirtschaft. Mein Vater starb im Bürgerkrieg im Jahre 1993. Fünf Kinder alleine großzuziehen war eine große Last für meine Mutter. Mein Onkel, der ein Universitätsstudium absolvierte, entschied sich, meine zwei Cousins und mich ins Kinderdorf hineinzubringen, damit wir bessere Chancen auf Bildung haben.

Hast du als siebenjähriger Junge verstanden, was mit dir passiert?

Als Siebenjähriger war es eine große Veränderung für mich. Zuvor brachte uns mein Onkel in die Hauptstadt, damit wir uns an das Großstadtklima gewöhnen. Im SOS-Kinderdorf dachte ich auch zuerst, dass wir nur zum Eingewöhnen dort sind. Mein Onkel hat nichts gesagt, er brachte uns einfach nur dorthin.

Familie in Burundi

Hast du geweint?

Ich erinnere mich nicht daran, wahrscheinlich ja. Ich war noch so klein.

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War deine Mutter mit deinem Einzug ins Kinderdorf einverstanden?

Sie war dagegen, aber konnte nichts machen. Wir waren einfach zu viele, fünf Kinder waren für sie eine große Last. Im SOS-Kinderdorf bekam ich die beste Betreuung, deshalb bin ich hier, wo ich bin. Obwohl sie mich am Anfang nicht hergeben wollte, sieht sie jetzt, was aus mir geworden ist und ist sehr stolz auf mich. Von meinen Geschwistern bin ich der einzige Student.

Hat dich deine Mutter im SOS-Kinderdorf besucht?

Nein, nie. Sie wohnte weit weg von unserem Dorf und hatte kein Geld um zu reisen. Mein Onkel besuchte uns manchmal.

Hast du jetzt eine Beziehung zu deiner Familie?

Ja, aber wir sind ganz andere Menschen. Sie leben in einer zurückgebliebenen Gegend, kennen das Handy nicht, meine Geschwister sind Arbeitslose. In Burundi ist es schwer eine Arbeit zu bekommen. Letztes Jahr habe ich sie das letzte Mal gesehen – als ich sie besuchte.

Wie war das Leben im SOS?

Der Einzug ins SOS war mir eine große Veränderung. Ich lebte mit einer Pflegemutter, einem Helfer und neun anderen Kindern zusammen. Es gab Konflikte zwischen uns Kindern, häufig musste die Pflegemutter eingreifen, wir sollten lernen, miteinander zu leben. Drei Kinder wohnten in einem Zimmer. Wir bekamen alles, Lebensmittel, Kleidungsstücke, bessere Chancen zum Weiterlernen. Nach meinem Besuch in meiner Heimat sah ich, dass die Lebensmittel nicht reichen, die wir zu Hause bekamen.

War die Option zur Adoption präsent?

Nein, und ich kenne keinen solchen Fall im Dorf.

Wie lange lebtest du dort?

Bis zum Abschluss der Grundschule, bis zu meinem 13. Lebensalter. Danach zog ich in die Hauptstadt um. Dort begann ich die Mittelschule und wohnte in einem Jugendheim mit anderen älteren SOS-Schülern zusammen. Nach dem dritten Jahr machte ich die Englischprüfung, weil der Unterricht bis dahin auf Französisch lief. Meine Schullaufbahn setzte ich an einem Gymnasium in Ghana fort, dort verbrachte ich vier Jahre. Erst danach kam ich nach Debrecen.

Kinder in einem der SOS-Kinderdörfer

Gehen die Kinder in Burundi zur Schule?

Die Mehrheit der Einwohner sind Analphabeten, aber der jetzige Präsident hat die Grundausbildung kostenlos gemacht. Seitdem besuchen viele Kinder eine Grundschule. Die Mittelschule ist dementsprechend schwerer und viele Leute können es sich nicht leisten, da es nicht kostenlos ist.

Du bist 21 Jahre alt, was machen Männer in Burundi in deinem Alter?

In Burundi heiraten die Männer im Allgemeinen im 21. Lebensalter Mädchen im 18. Lebensalter. Scheidungen sind unüblich, die Mehrheit des Landes ist katholisch. Weil die Bevölkerungszahl sehr schnell wächst, will man die Zahl der Kinder auf vier pro Familie vermindern.

Was ist der Unterschied zwischen dem Leben in Ungarn und dem Leben in Burundi?

Hier sind die Wege und Infrastrukturen ganz anders. In Burundi ist alles sehr billig. Das Lebensniveau ist hier besser, aber ich möchte unbedingt nach Burundi zurückkehren.

Bekommst du Bemerkungen wegen der Hautfarbe?

Auf Englisch nicht.

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Was überraschte dich am meisten in Ungarn?

Dass die Mehrheit kein Englisch spricht. Wenn ich irgendwohin gehe und um Auskunft bitte wird mir sehr häufig mit „Ich spreche kein Englisch“ geantwortet.

Hast du Ungarisch gelernt?

Nur ein paar Wörter.

Mit wem hast du Freundschaften geknüpft?

An der Universität gibt es Studenten aus Uganda, Nigeria, der Türkei. In Ghana sind viele afrikanische Volksgruppen präsent, deshalb finde ich jetzt leichter Anschluss.

Woraus finanzierst du dein Hiersein?

Das SOS unterstützt mich, und sie erwarten natürlich gute Noten. Das klappte bisher, mein Notendurchschnitt war 4.66/5 im ersten Jahr. In Ghana hatte ich einen Schwerpunkt auf Mathe und Physik am Gymnasium, und weil ich darin gut war habe ich hier deshalb bisher keine Schwierigkeiten.

Aus dem Ungarischen von Zsófia Papp

Lektoriert von Charlotte D.